Erinnern statt veräußern – Sprache und Identität

Wer mich kennt, wer sich zum Beispiel an den Titel meiner letzten Wanderung erinnert *, weiß, dass ich eine wahre Freundin von Wortspielen bin. Allein mein Claim spricht für sich: „Multidilettantin mit Hingabe“. Zu meiner Wortschöpfung „Multidilettantin“ habe ich HIER schon Genaueres geschrieben, bekenne mich voll und ganz dazu, denn laut Agentur Junges Herz bezieht sich ein „Claim“ auf die Mission und die Werte des Unternehmens. Genauso ist es:

dilettare, italienisch – erfreuen. Und weil es eben viel gibt, an dem ich mich erfreue und MIT dem ich andere erfreuen will, gilt es multi; und mit Hingabe sowieso. Zum Ende des Artikels lasse ich zu diesem Thema noch einen großen Komponisten des 18. Jahrhunderts  zu Wort kommen.

Hier geht es weiter mit der Frage, ob diese „Werte-Missions-Beschreibung“ wirklich ein englischer Begriff sein muss? „Claim“ ist kurz und knackig. Finde ich denn keinen deutschen? fragt sich eine Franzi, die so gerne in den Tiefen der eigenen Muttersprache buddelt und sich dafür auch gerne länger Zeit nimmt.

Es muss nicht immer kurz und knackig sein, die Lebenszeit vergeht schnell genug.

Anglizismen und Betriebssprache

Es gibt zunehmend Kreise oder Gruppierungen, in denen die Sprache, die Kommunikation mit englischen oder englisch codierten Spezialbegriffen gespickt ist. Zum Beispiel die von mir sehr geschätzte Content Society, in der es natürlich vorrangig ums Bloggen und die Inhalte und das Geschäftliche geht – also: Content und Business.

Je feiner da die Details werden und je spezifischer die Themen, desto mehr englische Spezialbegriffe tauchen auf, die zum Teil wirklich kein adäquat präzises Äquivalent auf deutsch haben.

Und da wird sie bockig, die Franzi. Stelle insgesamt zu Beginn meines dritten Lebensdrittels fest, dass ich mir eine gewisse Konservativität gerne gönne. Statt „up to date“ sage ich lieber „heuriger Hase“; statt „bullshit“ eher „Dreckmist“, statt „storytelling“ bin ich eineGeschichtenerzählerin“ und statt „smart home“ möchte ich lieber ein „schönes Zuhause“, aber da schwingt noch etwas anderes mit.

Oft verwenden wir Worte und Begriffe, ohne ihrer ursprünglichen Bedeutung wirklich gewahr zu sein (auch schön: „gewahr sein“, statt: „auf dem Schirm haben“). Bestes Beispiel ist hier wieder mein Claim, den ich ab jetzt „Versprechen“ nennen möchte:

Das Wort „Dilettant“, oder „dilettantisch“  löst in unserem Sprachgebrauch heutzutage wenig Erfreuliches aus, eher so etwas wie „Stümper“, „Möchte-gern-Könner“, „Laie“ … sehr unerfreulich, dabei beschreibt es im ursprünglichen Sinn einen Menschen, der sich aus schierer Begeisterung einer Sache widmet , im Gegensatz zu einem, der schlichten Broterwerb betreibt. Bitte freuen Sie sich auf das Zitat am Ende …

Und so bleibe ich – in bester Gesellschaft – dabei. Multidilettantin bin ich – mit Hingabe und ohne Diplom und erfreue mich an und über meine Wortschöpfungen und noch so vieles mehr.

 

Wortstamm und Stammbaum

Nehme ich mir meine eigene Überschrift dieses Artikels vor: „Erinnern statt veräußern“, dann möchte ich hier erst einmal frei assoziieren: „Erinnern“ findet innen statt. Eine Erinnerung ist also etwas, das in meinem Inneren lebt. Meine Erfahrungen gebunden an unterschiedliche Bilder, Eindrücke, Gefühle und Worte entlang meines zurückliegenden Lebensweges.

Wenn ich – bestenfalls – mit mir selbst im Reinen bin, dann macht genau das meine Identität aus. Daraus folgt dann, wie ich mich in meinem Umfeld wahrnehme, und welche Verantwortung ich bereit bin zu übernehmen: für mich und mein Tun, für meine Lieben, für meine Umgebung, für meine Scholle, für die Erde und unsere Natur.

„Veräußern“ findet außen statt, oder richtet sich nach draußen. Veräußern bedeutet im Sprachgebrauch „verkaufen“ – da klingelt es in meinem Assoziationshirn „verraten und verkauft“. Fragen tauchen auf: Kann ich bei mir bleiben? Kann ich etwas für mich behalten? Lege ich Wert auf Äußerlichkeiten?

Schnell merke ich, eine Bewertung schwingt fast immer mit, kaum bewusst, doch tiefgreifend wirksam.

Mit dem Stichwort „tiefgreifend“ komme ich noch einmal auf den Baum zu sprechen, der mit seinen Wurzeln tief in die Erde greift. Erinnern entlang der eigenen Wurzeln. In unserem vorchristlichen Kulturkreis gibt es eine tiefe Verbindung von Baum und Schrift. Die ersten, meist zu magischen Zwecken verwendeten, Schriftzeichen sind die Runen. Der Brauch will es, dass sie in Stäbe aus fruchttragendem Gehölz geritzt werden, gerne in Stäbe aus Buchenholz.

Und schon sind wir bei den Buchstaben, wenngleich hier auch arg verknappt, quasi Steno. Wer mehr zum Thema Runen lesen will, wird von mir gern zu Alexa Szeli verwiesen. Dass es sich hier in kleinster Weise um irgendwelche rechtsnationalistischen, braun-dümpelnden Nazi-Inhalte geht, sondern um Jahrhunderte, Jahrtausende alte Tradition, das versteht sich bei mir von selbst. Hitler, was hast du für Schäden angerichtet! Hast unsere Vergangenheit aufs Abscheulichste beschmutzt.

Vom Baum und seinem Stamm ist der Weg zum Stammbaum auch nicht sehr weit. Er bezeichnet unsere Herkunft: Jede kommende Generation zeigt sich in immer weiter verzweigten Ästen, die in den Himmel ragen und die jeweiligen Namen wie Früchte tragen, Bilder in Buchstaben.

Mit der Sprache kann ich also klar definieren, wo ich her komme, wo meine Wurzeln sind; kann meine Gegenwart umreißen, wo ich mich befinde und wie ich es da gerade finde; und ich kann beschreiben, erfinden, wo ich hin will, also meine Zukunft gestalten, aktiv.

Erfinden ist ein tolles Wort. Ich finde etwas, das bis dato nur in den noch nicht erkundeten Räumen meiner Phantasie zu hause war. Ich hole es ins Licht meiner Ideen und erschafft somit die Möglichkeit, neue Wirklichkeit zu träumen. Stichwort: Manifestieren.

 

Kommunikation im Kopf

Wir, sagen wir besser: viele von uns, werden früh angehalten die Welt über Sprache und Intellekt, über Verständnis und Einsicht zu erleben. Das bedeutet: im Kopf. Diese Kopflastigkeit ist sicher sinnvoll bei planerischen, organisatorischen, rational abzuwägenden Themen.

Der Terminkalender einer fünfköpfigen Familie lässt sich nun einmal klarer organisieren mit kurzen, knappen Eintragungen, die der Sachlage dienlich sind. Ein advektivreicher, blumig verschnörkelter Vierzeiler ist bei der Koordination von Kieferorthopädie-Termin, Kindergeburtstags-Geschenk-Einkauf, Fortbildung-Seminar am Wochenende und der Handwerkerkoordination fürs Badezimmer nicht unbedingt dienlich.

Wir haben aber nicht nur einen Kopf, ein Hirn, einen Geist. Zum Glück haben wir auch ein Herz und eine Seele, ein Bauchgefühl. Wie kommunizieren wir mit ihnen? Denken Sie an ihr Lieblingslied, das Sie und Ihre erste große Liebe verbindet: Sie werden sicher noch jede Silbe, jedes Wort, jede Strophe mitsingen können, auch wenn Sie das Lied Jahre nicht gehört haben, oder damals vielleicht noch nicht einmal die Sprache kannten.

Davon kann ich – im wahrsten Sinn des Wortes – ein Lied singen, und zwar ein Spanisches: Ich habe mit 18 Jahren, genauer gesagt ZU meinem 18. Geburtstag einen Konzertbesuch bei Olivia Molina geschenkt bekommen. Mit ihrem „El Tango argentino“-Programm war sie damals auf Tour. Da saß nun eine Franzi  im Publikum, die vorab nicht genau wusste, was der Abend wohl so bringen möge. Und dann machte es „Krawumm“. Mit den ersten Takten schmolz, ach was: donnerte der Tango in meine Seele hinein und hat sich, wenn ich ehrlich bin, bis heute nicht wieder völlig verabschiedet.

Diese Melodien, diese Rhythmen, diese Tänzer, diese Stimme … das brachte damals eine Saite in mir bald zum Zerreißen, von der ich bis dahin noch nicht gewusst hatte, dass ich sie überhaupt in mir habe. Dank erstandener Schallplatte, die fortan 24 Stunden am Tag lief, kann ich bis heute alle Lieder auswendig – auch wenn ich erst 10 Jahre später begonnen habe, spanisch zu lernen. Bis heute kann ich nur mühsam Brötchen beim Bäcker bestellen, aber in Liebeserklärungen bin ich topp! Te quiero mucho, mi gran amor.

Da spürten Herz und Seele eben lange vor meinem Intellekthirn, dass hier etwas Essentielles zum Ausdruck kommt.

Im Englischen wie im Französischen sind die Worte, die Formulierungen für diese Unterscheidung ganz klar: to keep in mind, bedeutet, eine Information im Gedächtnis zu behalten, also eher etwas Faktisches im Container zu verwahren (hach, da will ich gleich an dem Wort „verwahren“ und seinem Bezug zur Wahrheit weiter sinnieren … )

To know by heart – heißt, etwas im Herzen zu kennen, also so tief verinnerlicht zu haben, dass man es auswendig kann. Innen und außen – da haben wir sie wieder, die beiden Kollegen aus der Überschrift.

 

Sprache des Herzens: Musik – Sprache der Seele: Poesie

Mit dieser kühn in den Raum geworfenen These möchte ich meinen heutigen Ausflug, das heißt meine Auffassung von Sinn und Zweck der Sprache, meiner Sprache  und Identität beschließen. Ich bin inzwischen sicher, dass ich mir weite Teile meiner heutigen Identität tatsächlich „erschrieben“ habe. Im Verdichten, im Eindampfen von Gedanken und Ideen im Prozeß des „In-Wort-Gerinnenlassens“ habe ich so viele Untiefen und Mariannengräben meiner Selbst überhaupt erst entdeckt und begonnen zu vermessen.

Es ist mir ein Segen und eine Freude zu wissen, dass diese U-Boot-Expeditionen ins ferne Universum, diese Heißluftballon-Flüge ins Schmelzzentrum der Erde, kurz gesagt: dass meine Phantasie nie enden wird – es mir die Sprache wohl nie verschlagen wird. So flechte ich hier meine persönliche „Franzional-Hymne“ ein, geschrieben und vertont für meinen 2017 veröffentlichten Roman „Minas Sommer – eine Etüde in Leichtsinn„, mein Credo:

„Musik ist, wo ich herkomme und wo mein Weg hingeht.
Heimat, die mich stets umweht.
Musik ist mein Glaube, ist mein Gebet,
Sprache, die jeder versteht.

Welche Art von Musik, ist erst mal egal,
zwischen E und U unterscheid ich nicht mal.
Es ist nur die Frage, ob sie von Herzen kommt,
denn dann erreicht sie meines prompt.

Ich höre mit Leib und Seele,
dort klingt Resonanz, von der ich hier erzähle.
Die gibt’s auf HipHop, Flamenco, auf Jazz, auch auf Klassik,
nicht so gern auch gemixt, aber alles ist Musik:

M für die Menschen, die sie verbindet.
U für Unterhaltung, die sie uns sendet.
S für Sehnsucht, die sie erweckt.
I für Irrsinn, der manchmal in ihr steckt.
K für den Kosmos, den sie umspannt.
Die ganze Welt in diesem Wort, hast du es erkannt?

Musik ist, wo ich herkomme und wo mein Weg hingeht.
Heimat, die mich stets umschwebt.
Musik ist mein Glaube, ist mein Gebet.
Du holde Kunst, ich danke dir.“

 

Lieblingsworte

Hier folgt nun eine fröhlich daher assoziierte Sammlung an Worten, an Wörtern, die ich unbedingt dem Vergessen entreißen möchte: Poesiealbum, Habseligkeiten – war  Wort des Jahres 2004, Ratschkachel – eine Frau, die mit anderen viel plaudert, oder Schabracke – was primär die Satteldecke beschreibt. Schlendrian und Mumpitz stehen auch sehr weit oben. Kurz nach Nestling und Windflaute. Wenn ich nun tiefer in den Dialekt einstiege, kämen sicher begriffe wie Bottschamberle – für einen topfähnlichen Hut, nach dem französischen Wort für Betttopf, oder Zipfiklatscher – für einen Blödmann.  Hast du da noch Töne? oder  Da lasse ich mich nicht lumpen bereitet mir ebenfalls großes Vergnügen.

Schreiben Sie mir gern Ihre Lieblingswörter, die sie schon lange nicht mehr gehört oder ausgesprochen haben. Das fände ich ausgesprochen schön. Und damit schließe ich für heute mit dem anfangs versprochenen Zitat, von keinem Geringeren als Domenico Scarlatti:

„Seist du nun Dilettant oder Berufsmusiker, erwarte in diesen Kompositionen keine profunde Gelehrsamkeit, sondern ein heiteres, sinnreiches Spiel mit der Kunst. Zeige dich eher menschlich als kritisch und vermehre dadurch Dein Vergnügen.“

 

* franzi geht dann heim

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