Letzte UnRuh – und Du? Schon übers Ende nachgedacht?

Anfangs, oder besser: im blühenden Leben will kaum eine freiwillig und ohne Not über das eigene Ende nachdenken. Alles mit der Ruhe. Ich hab doch noch Zeit, das kann warten.

So oder so ähnlich schieben viele Menschen ihre gern schnell verdrängten Gedanken zurück ins hinterste Schubfach. Testament und Patientenverfügung haben einen ähnlichen Reiz wie Steuererklärung. Zu akzeptieren, dass uns die eigene Endlichkeit unabdingbar jeden Tag ein Stückchen weiter begleitet, muss aber nicht zwangsläufig zu schlechter Laune, Depression oder Lebensunmut führen.

Ich habe gegenteilige Erfahrungen gesammelt und möchte von diesen gerne berichten. Auch, um eine unverstelltere Gesprächskultur zu Tod und Abschied anzuregen.

Wo will ich begraben sein?

Diese Frage hat meines Erachtens viel mit Heimat zu tun. Mich, meinen irdischen Leib wieder der Erde zurückgeben. Beerdigung. Ich verstehe, dass manchen, der mit Platzangst gesegnet ist – dazu gehöre ich eigentlich auch – bei der Vorstellung, womöglich doch aus Versehen lebendigen Leibes eingesperrt in einer Holzkiste in der Erde versenkt zu sein, das grobe Unwohlsein plagt.

Gleich mal leuchtendes Gelb und Orange gegen den Blues

Mir schwebt eher eine Anlehnung an die naturnahen Ideen von Friedensreich Hundertwasser vor: In eine Tuch gewickelt, vielleicht auf duftendem Heu gebettet zurück im Schoß von Mutter Erde. Und dann pflanzt bitte eine Magnolie oder eine Kirsche, eine Rose oder Johannisbeeren darüber und der Wandel vom Werden und Vergehen nimmt seinen Lauf.

In vielen Schöpfungsgeschichten dieser Erde werden zum Anbeginn die ersten Menschen aus Erde oder Lehm geformt. Für mich ist es nur stimmig, diesen Leib der Erde wieder zurückzugeben. Kompostiere ihn, Mutter. Kreiere daraus neues Leben. Diese Gedanken nur am Rande.

Gedanken über das Ende und das Danach

Apropos Gedanken. Keine Sorgen oder Grübeleien, sondern Gedanken. Bestenfalls DAVOR und günstigstenfalls GEMEINSAM.

Der Tod meines Sohnes kam damals völlig überraschend. Keiner von uns war vorbereitet. Umso jäher mussten diverse Entscheidungen getroffen werden, über deren Inhalt und Konsequenzen ich mir zuvor noch nie Gedanken gemacht hatte. Darüber schrieb ich ausführlicher in meinem Blogartikel Neun Jahre danach. Wir haben uns für ein Baum-Wiesen-Grab entschieden, also ging sein Leib durchs Feuer. Zur Beisetzung hielt die Urnenkapsel in den Händen, schlicht und pragmatisch mit Todesdatum und Tag der Einäscherung beschriftet. Und ich fühlte – Nichts. Seine Seele, sein Geist war schon irgendwo anders.

Blühende Johannisbeeren im Hintergrund – sehr versöhnlich und von exquisitem Duft

Das Grab war und ist dennoch für uns wichtiger Ort, an dem wir immer wieder in größerer oder kleinerer Runde zusammenkommen. Gerne auch mal allein. Wir haben dort schon viel geweint und gelacht, Geburtstagskuchen gegessen und Bier getrunken. Wenn jedes Jahr aufs Neue die Meisenkinder aus dem Vogelhäuschen flattern, das im Ahorn hängt, unter dem mein Sohn beigesetzt ist, das heißt die Urnenkapsel mit seinen äschernen Überresten, dann ahne ich den beruhigenden Kreislauf vom Werden und Vergehen.

Letzte Ruhe mit bester Aussicht

Ich dachte längere Zeit: Ach wie gut, dann weiß ich jetzt ja, wo ich später einmal liegen kann. Aber in den letzten Jahren zeigte sich: das ist nicht mein Platz – und wenn der Ort hier hoch droben über der Ruhr mit einem fantastischen 360° Blick wirklich schön und licht ist. Ich gehöre irgendwie hier nicht her. Warum? Wohin dann?

Das konnte ich lange nicht beantworten. Auch diese Fragen haben mich im vergangenen Jahr über meine lange Wanderung franzi geht dann heim begleitet. Wenn es also nicht der aktuelle Wohnort sein soll – Essen, immerhin seit über 30 Jahren mein Zuhause – ist es dann der Geburtstort Tübingen? Vielleicht der dortige Friedwald Hohenentrigen? Oder doch der Schliersee, auf dessen alpenländisch traditionsreichem Friedhof nicht nur der legendäre Wilderer Jennerwein liegt, sondern auch ein großer Teil meiner Familie väterlicherseits.

Mit Stuttgart habe ich seit meinem Wegzug in den 1990er Jahren ein ambivalentes Verhältnis. Ich atme bei Besuchen schnell schwer, des schlechten Klimas im Kessel wegen und liebe den Besuch im Mineralbad Berg (dem ich mit meinem Roman „Minas Sommer“ eine Denkmal in Ton und Schrift verpasst habe). Das Wilhelma Theater ist für mich das schönste Theater der Welt und beim Bahnhof Stuttgart 21 könnte ich heulen. Ich hadere mit dem Klang des Dialekts und kann  kaum mehr lachen, als wenn ich mit meiner Mutter in breitem Schwäbisch alber – Muttersprache.

Besuch abstatten wegen bestatten – in memoriam

Nichts desto trotz oder gerade deshalb habe ich mich heute früh mit dem Zug auf den Weg gemacht. Angenehm kühl war es in Essen zum Zeitpunkt des Sonnenaufgangs, also kam ein Schal um den Hals. Bin nach Stuttgart gefahren.

Einer Baustelle in Köln sei Dank, führten mich die Gleise entlang der schönsten Strecke Deutschlands. Am Rhein entlang, vorbei in Koblenz, Sankt Goar, Oberwesel und Bingen – allesamt Orte, die ich bei meine letztjährigen Wanderung zu Fuß durchmessen habe. Optisches I-Tüpfelchen, während ich hinter der Scheibe sitze, vor der alles vorbeiflitzt, und mit parallelem inneren Auge das entstehende Buchprojekt für den Verleger weiter bearbeite: am Laptop schreibend, korrigierend, kürzend und in Gedanken wandelnd. Irgendwann entdecke ich in der Spiegelung der Fensterscheibe, dass ein Lächeln in meinem Gesicht wohnt.

All ihr Blumen in all euren Farben, mit jeder lässt sich etwas assoziieren und schmücken

Irgendwann komme ich also in Stuttgart an. Der Himmel verkündet’s: bald wird es regnen, wahrscheinlich gewittern. Die Innenstadt ist vertraut, wahrscheinlich so vertraut, wie mir keine andere. Auch wenn ich ab und an verwirrt und amüsiert feststelle, dass sich entweder viel verändert hat, oder dass ich als jugendliche Forscherin eben anderen Fokus hatte.

Ich lasse mich durch die Fußgängerzone treiben, hin zum Opernhaus. Herrje, die Sehnsucht ist groß, ihr wieder einmal einen Besuch abzustatten. Wie früher: Freischütz, Echnathon, Krabbath, La Favorite, und wie sie alle hießen. Im hübschen Kleid, ordentlich frisiert. Für die Pause waren im Foyer Häppchen und Getränk vorbestellt. Ja, Genaus so will ich das bald wieder einmal feiern.

Manches bleibt – jenseits von gut und böse

Regen kommt, die Straßenbahn zum Glück auch. Mein Schal wird zum Kopftuch und dabei fällt mein Blick auf das kleine Brandloch: Vor vielen Jahren habe ich diesen Schal meinem Sohn hinterher um den Hals geworfen, als er am späten Abend nochmal kurz zur gemeinsamen  Zigarette mit dem Freund an die Ecke hüpfte. So sind Mütter, selbst wenn es um die Raucherei geht, sorgen sie sich noch um die Kinder. Brandlöcher werden mit- und hingenommen.

Wenige Minuten später finde ich mich an einem der bemerkenswertesten Bahnhöfe wieder: Alte Standseilbahn hoch zum Waldfriedhof. Dorthin führt mich meine heutige Mission. Diese alte Seilbahn gondelt nicht etwa über Träger oder Stützen, nein, sie wird in ordentlicher Spur, fast wie auf einem Gleis den steilen Berg hinaufgezogen. Stuttgart, du und deine 1000 Staffele, wie gut dass ich jetzt bei Regen deine Steigungen in einem historischen Holzkasten überwinden dar. Mir wird es gleich ganz warm ums Herz. Außerdem ist der Schaffner ein echter Charmeur.

Und dann stehe ich im Wald. Endstation Seilbahn am Waldfriedhof. Es nieselt immer noch. Und ich habe einen Termin mit dem Friedhof-Vorsteher. Es geht um das Grab meiner Großeltern. Ich habe lebendige Erinnerungen an frühere besuche MIT ihnen auf diesem Friedhof. Nach Blumenpflege an den Gräbern wurden Eichhörnchen aus der Hand gefüttert. Viele Altvorderen meiner Mutterlinie sind hier begraben. Mutterboden.

Reden ist Silber, Regen ist nass und Steine sind schwer

Nach längerer Vorgeschichte und diversen Telefonaten habe ich heute diesen Termin mit dem Friedhofs-Aufseher. Alles ist bestens vorbereitet. Alle Informationen werden sorgsam ausgetauscht und festgehalten. Aufsehen, vorrausschauen, rückblickend. Freundlich und hell sind die Räumlichkeiten, Orchideen stehen auf den hölzernen Fensterbrettern. Ich habe das Gefühl, dass es damals, als meine Großmutter hier ihre Geschäfte geregelt hat, schon genauso aussah.

Zwar keine Orchidee, dafür Schleierkraut und Chrysantheme in weiß – beliebt fürs Trauergebinde

Ja, es ist ein Geschäft. Da gehört es sich auch, offen übers Geld zu reden. Alles hat seinen Preis, auch das Sterben. Und ich wiederhole mich gern: Wie gut ist es, sich und seinen Angehörigen im Vorfeld klarzumachen, was einem die ganze Chose wert ist. Wenn mir einer begegnet, der sagt: „Mir ist das egal, ich bin doch dann eh tot. Sollen die anderen machen, was sie wollen“, möchte ich gern weiter nachfragen.

Wir alle haben unsere Geschichte. Und diese Geschichte hinterlässt Spuren, kleine oder größere.

Meine Geschichte hier im Friedhofs-Aufseher-Büro ist für heute erfreulich heiter beendet. Draußen regnet es, ach was: Starkregen tost. Wasserfontänen schießen in weitem Bogen über die Dachrinnen hinaus. Ich sitze unterm Kapellenvordach und warte. Gewitter grollt, dann krachen kurz nacheinander drei Blitze in unmittelbarer Nähe ein, die sogar den geerdeten Steinmetz ins Innere seines Büros stürzen lassen, wie ich gleich erfahren werde. Meine heutige Entscheidung ist also von höchster Stelle mit 3 Paukenschlägen besiegelt. Wunderbar.

Nach vorübergezogenem Wetter statte ich 30 Minuten später eben jenem Steinmetz einen Besuch ab. Er ist nur der Gewitterverzögerung wegen überhaupt noch vor Ort und nimmt sich dann rührend Zeit für mich und mein Anliegen. Wir inspizieren das verwunschene Lapidarium alter Grabsteine, nach Auflösung hier zwischengelagert. Was bleibt? Eine eindrückliche Frage, die sich hier im Angesicht der entsorgten Gesteins-Monumente stellt. Die Sonne kommt heraus, alle meine Fragen sind beantwortet. Ich habe sogar noch Zeit, Blumen auf’s Grab meiner Großeltern zu legen. Jetzt ist es mein Grab.

Dann geht es mit der Seilbahn und netten Worten des charmanten Holz-Gondolieres wieder hinunter ins Tal in Richtung Hauptbahnhof. Mit dem Zug erneut am Rhein entlang nach Essen. Alle Verbindungen planmäßig. In Essen regnet es.

Ich hab meine zukünftige letzte Ruhestätte heute klar gemacht und das beruhigt mich ungemein. Morgen werde ich – mit oder ohne Schal – auf den Essener Friedhof gehen. Zum Grab meines Sohnes. Der Ahorn über seiner Grabplatte ist inzwischen ein stattlicher Baum, die Meisen sind längst ausgezogen. Und mir bleibt das Loch im Schal und noch Vieles mehr.

Kreisläufe und Jahresfeste – vom Schnitter und der Erdenmutter

Wir haben August. Am Ersten begeht man hier in unseren Landen nach alter Tradition das Schnitterfest. Eines der acht Jahresfeste, die den Kreislauf der Natur auf eindringliche Weise markieren. Jetzt im August beginnen Reife und Ernte, das erste Korn wird geschnitten. Ein guter Zeitpunkt, um festzustellen, ob die Saat des Frühjahrs gut aufgegangen ist, ob Hege und Pflege dem Gedeihen des Sommers dienlich waren, und wie es wohl um die Ernte bestellt sein wird. Ein Rückschnitt des Wildwuchses kann sinnvoll sein. Auch im übertragenen Sinn.

Was für eine Farbpracht. Mit exotischen Distelköpfchen im Schutznetz.

In Peru, so erfahre ich es in einer Nachricht von meiner Freundin Mariela, gedenken sie genau an diesem Tag Mutter Erde „Pacha Mama“. Ich schreibe Mariela und versuche „Schnitterfest“ auf spanisch zu übersetzten und lasse mir dabei von Google helfen: „Fiesta de la muerte“ erhalte ich als Antwort. Wie passend, der Schnitter, seit jeher Verkünder des Todes. Die Tage werden kürzer.

Mir fällt eine Liedzeile aus  André Hellers „Schnitterlied“ ein: „Ein Schnitter kommt gezogen, weit aus der Mandschurei. Er hat von Apfelschalen Hosen und Rock dabei.“

Und ich hab einen Schal. Mit Loch. Einen schönen und ruhigen, beruhigenden Ort für meine letzte Ruhe. Die Erde dreht sich. Das Leben ist schön, und es geht weiter.

Es gibt so viele Möglichkeiten, sich mit dem Ende, dem eigenen oder dem einer anderen auseinanderzusetzen, Verlust, Trauer und Angst zu begegnen. Dem Werden und Vergehen angemessenen Sinn und Bedeutung beizumessen. Für mich liegt der Schlüssel immer in einer Anbindung und Rückbesinnung auf die Natur, als große Lehrmeisterin aller Zyklen. Das weiß ich nicht erst, seit ich Anfang des Jahres die Ausbildung zur Trauerrednerin gemacht habe. Hier fließen viele meiner Ausbildungen und Erfahrungen zusammen:

Heimische Ethnomedizin – traditionelle europäische Medizin, Phytaro 2018
Naturcoach – Psychotechniken heimischer Ethnomedizin, Phytaro 2019
Munay Ki – Initiationen der spirituellen Tradition Perus, Four Winds Society 2022
Energiemedizin & Gesundheitscoach, Four Winds Society 2023
Trauerrednerin, Omilia Academy 2024

und nicht zuletzt: Das Leben, meines und das der anderen.

Rückfragen zum Thema, Gesprächswunsch oder konkrete Anfrage unter: kontakt@franziska-dannheim.de

Nota bene: Großer Dank geht an die Blumenbar am Stadtwald, Essens schönstem Blumenladen, an der all diese farbenfrohen Motive entstanden sind. Porträt: Hajo Müller

 

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