franzi geht dann heim – Zwischenblick lV: Appenheim – Speyer

Das war ein außerordentlicher Tag. Ich habe in Speyer also zum letzten Mal für diese Tour den Rhein gesehen. Und jetzt heißt es nicht nur: Adieu Rhein, sondern und vor allem auch: Adieu Jakobsweg.

Ich bin ehrlich sentimental und beschließe, einen Bilanz-Tag einzulegen. Ruhe bräuchte ich nicht unbedingt, doch hat mich diese Jakobspilgerei der vergangenen drei Wochen so viel tiefer berührt, als ich dachte. Da ist es nur würdig und recht, diesem Ersten Drittel meiner Tour auf dem Jakobsweg einen angemessenen Abschluss zu verschreiben. Bevor ich meine Jakobsmuschel vom Rucksack nehme.

Wer weiß, vielleicht lasse ich sie auch dran. Wobei, dann kommen vielleicht noch häufiger Einzel-Männer auf mich zu, die mir den Weg erklären wollen. Das ist nämlich eine meiner weiteren Beobachtungen, wie die Menschen auf mein Wandern reagieren:

Dass bei Paaren oftmals die Frauen interessiert bis sehnsuchtsvoll nachfragen und die Männer eher überfordert sind und Kinder meist auf meinen Wanderstab reagieren, das habe ich ja bereits beschrieben.

Nun habe ich festgestellt, dass Einzel-Männer oft das Bedürfniss haben, mir den Weg zu erklären. Dass ich bereits drei Wochen ohne nennenswertes Verschollengehen gemeistert habe ist uninteressant. Ja, ich bin langsamer. Ja, ich schaue mich öfter und ausgiebiger, weil ich eben alles wahrnehmen möchte und nicht nur die rechte Wegabzweigung. Das ist ja auch so eine eher pilgermännliche Herangehensweise: Wie lang? Wieviele Kilometer pro Tag? Wie schnell?
Völlig uninteressant in meiner Wahrnehmung. In wievielten Kirchen gesungen? Wieviele tote Tiere vom Weg beerdigt? Wie oft geweint? Das sind meine relevanten Parameter.

Nun will ich nicht zuviel vorab palavern, sondern gehe in die einzelnen Tagesbilanzen. Mal sehen, was da noch alles zum Vorschein kommt:

Tag 21: Appenheim – Spiesheim

Mit Appenheim begann sie, meine kleine Winzerhofs-Rutsche im Rheinhessischen. Dies hat sich eher zufällig ergeben, war dann aber ein besonderes Erlebnis. Ich habe soviel über Weinanbau im Allgemeinen und im ganz Speziellen gelernt in diesen Tagen, wunderbar.

Man ahnt, dass es hinter diesem Tor um Wein geht

Hier in Appenheim beim Ehepaar Schmitt war es wirklich sehr angenehm. Sie haben ihre Weinberge inzwischen verpachtet. Nette weitere Gäste am Frühstückstisch im schattigen Innenhof mit denen es sich wirklich nett plaudern ließ. Beide Wirtsleute sind außerdem so interessiert und hilfsbereit.

Hier fällt es mir zum ersten Mal auf, dass und wie sich nicht nur die Landschaft verändert, sondern auch der Dialekt. Ich kann es nicht richtig erklären, aber seit Wuppertal- Beyenburg ist es von Tag zu Tag ein fast unmerklicher Wandel von diesem Bergischen Platt übers rheinländische Kölsch, zum Mittelrheinischen Hessisch, zum Pfälzer Singsang, wunderbar. Und ja: ich spüre irgendwo tief in meiner DNA, dass ich mich meiner Heimat nähere. Bald wird es schwäbisch und irgendwann bayrisch … nahtlos, übergangslos. Auch wenn jeder Einheimische, mit dem ich rede, natürlich (und sicher mit Recht) darauf besteht, dass die im Nachbardorf gaaaanz anders reden, so höre ich den Wechsel ganz langsam. Vieles wird bei mir in der Wahrnehmung immer langsamer, und das ist gut so. Langsam bedeutet ohne Hetze, ohne Anspruch, ohne Filter – es ist wie es ist … sagte die Liebe …

So weit das Herz mir reichet wird es gehen … danke Hölderlin

Ich gehe über Wein- und Mais- und Sonnenblumenfelder. Drei prächtige Feldhasen springen früh über meinen Weg und ich frage mich, ob ich hier wohl meine inneren Angsthasen entlassen darf. Aber dieser Tag, besser die Tage werden mich eines anderen belehren: es geht noch mal richtig ans Eingemachte.

Die Adresse meines anvisierten Hofes in Spiesheim lautet „Außerhalb“ – und das ist heute so manches: Außerhalb des bisher Vorstellbaren, außerhalb der Komfortzone, außerhalb der Gesellschaftsnorm – und irgendwie jenseits von Gut und Böse.

An sich wirklich nicht zu übersehen

Tief in Gedanken versunken und von der Sonne auch leicht zerdörrt, schaffe ich es in Spiesheim sogar, an den extra verabredeten, riesigen Hofeingangs-Olivenbäumen vorbeizulaufen, um dann dank meiner ebenfalls verstrahlten WanderApp mit den in den knallheißen Weinbergen zu landen. Nach drei Umwegen bin ich endlich im gekachelten und abgedunkelten Gästezimmer. Es gibt kaum etwas Schöneres als die Dusche.

Nach kleiner Wiederauferstehung lande ich in einzigen Gaststätte am Ort: ein charmantes, italienisches Lokal. Rheinhessische Winzerroute hin oder her: ich genießeeinen italienischen Rotwein, sogar zwei, und das hat gar nichts mit Trotz zu tun.

Müde bin ich, geh zur Ruh.

Die Nacht wird dunkel, wie mein Wein, und ruhig, wie erhofft.

Tag 22: Spiesheim – Monzernheim

Der Wetterbericht hat es angekündigt und die Wolken am Himmel zeigen es früh: das wird heut ein Unwetter geben. Beim Frühstück plaudere ich noch mit meiner Winzerswirtin – die einstens sogar mal Weinkönigin war – und bekomme den Eindruck, dass diese Weinbesitztümer die Menschen fest mit ihrem Land verbinden. Und in diesen Zeiten, wo die Natur und Klimaveränderung andere Herausforderungen mit sich bringt, führt das auch zu anderen Belastungen und Ungerechtigkeitsempfinden:

Warum kam der Hagel genau hier herunter. Warum dürfen die im tiefergelegenen Nachbarort ihre Felder bewässern? Warum muss ich jetzt, wo es so heiß ist, 2/3 der Trauben aus den Stöcken schneiden, damit der Stock überlebt?

Zum Frühstück gab es hofeigenen Traubensaft, dunkelroter köstlicher Kraftschub. Dann heißt es flink aufbrechen, der Himmel wird dunkler, und meine Etappe führt mich heute übers freie Land. Nur eine kleine Ortschaft auf dem Weg, wo ich gegebenenfalls Unterschlupf finden kann.

Wie man das Weingeschäft zeigen kann

 

Dann gehen mir wieder einmal Feinheiten in der deutschen Sprache durch den Kopf. Das Substantiv „Gut“ wird im Plural zu „Güter“. Das Adjektiv „gut“ wird in der Steigerung zu „besser“. Das hat mir keine direkte Philosophie offenbart, gibt mir aber das Gefühl mich enger mit meiner Muttersprache zu verweben, ein feineres Gefühl für die Abstufungen, für die Verbindungen und auch für die Trennungen zu bekommen.

Knapp auf den Fersen

Hinter mir wandert in knappem aber gebührenden Abstand die schwarze Regenwand. Mein Tempo ist ordentlich und das Schrittmaß sportlich. Ich durchquere die eine Ortschaft, die sich in meiner Wahrnehmung nicht unbedingt durch malerische Schönheit auszeichnet. In der letzten Straße, die mich wieder aufs weite Feld führt, haben sie gestern Abend wohl Polterabend gefeiert. Aber so  richtig! Zwei Bierwagen stehen da, der eine bereits wieder geöffnet und ein paar zerfeierte Gestalten machen sich bei motivierender Musik daran, die Scherbenbergen und Dreckreste der vergangenen Nacht zu beseitigen. Der Geruch von Aperol ist aufdringlich und lässt eine Hochrechnung der Katerkopfschmerzen zu.

Ab aufs Feld. Wein und Wein und nochmal Wein. Alle Reihen ordentlich an Stahlstangen und Seil-Gerüste geheftet. Natürlich leiten diese Metallantennen bei Blitzeinschlag besonders gut. Und ehrlich, es beruhigt mich auch kein bisschen, dass die höchste Erhebung, die ich heute noch zu überqueren habe, „Höllenberg“ heißt, und dass auf eben diesem ein weithin sichtbarer Blitzableiter thront.

Wir haben noch nicht mal Zwölf Uhr Mittag, da höre ich den ersten Hund von Monzernheim anschlagen und bin so unendlich erleichtert. Mit nahezu leichtem Fuß komme ich im Ort an und finde flink meine heutige Unterkunft: den Winzerhof Geil. Bitte ausdrücklich Helmut Geil, denn nebenan sind die nicht Verwandten ebenfalls Winzer mit Namen Geil, bei denen ist heute geschlossene Hochzeits-Gesellschaft aus Wiesbaden.

Meine Wirtsleute sind die obersten

Ich bin nur froh, in meinem hübschen Zimmer im Galerie-ersten-Stock über der ehemaligen Scheune zu verschwinden und schon kommt ein ordentliches Gewitter mit lange lange ersehntem Regen vom Himmel. Die folgenden drei Stunden liege ich im Bett, lausche dem Donner und bin so unendlich dankbar, dass ich in diesem Zimmer liegen darf.

Später kommt sogar nochmal die Sonne raus und ich erfahre von meiner Winzersfrau, dass es heute im Gemeindehaus das Schaschlikfest gibt, für mich also doch noch eine Möglichkeit, etwas zum Abendessen zu finden. Wobei ich mich schon friedlich darauf eingestellt hatte, heute neben meinem Käsebrotvesper nichts weiter zu essen. Essen ist nicht mehr so wichtig. Ich habe selten wirklich Hunger und trinke leider tendenziell über Tag und unter Sonne zu wenig Wasser.

Auf geht es also zum Schaschlikfest und ich bin wirklich ein bisschen stolz auf mich, dass ich mich traue, in diese Mehrzweckhalle zu gehen, in der eine riesige Einhornhüpfburg steht und einige Menschen an Resopaltischgruppen sitzen.

Und es kommt immer besser. Ausgerichtet wird dieses Schaschlikfest vom Männerballett Monzernheim. So etwas kann man sich doch nicht ausdenken. Und für alle hier ist das die Selbstverständlichkeit, klar, dass hier die jungen und feschen Kerle den Ausschank machen. Es gibt Augustiner hell, danke.

An einem kaum besetzten Tisch komme ich mit einem Winzer im Ruhestand ins Gespräch. Über den Ruhestsnd als solchen ist er nicht glücklich. Außerdem ist schnell klar, dass er zu denen gehört, die von dieser allein wandernden Frau irgendwie überfordert ist. Sein Bier ist schnell leer und er fort. Auf der Toilette frage ich mich, ob ich mit Pilgerstab hier nun im Stehen pinkeln sollte.

Es geht nichts über klare Bildsprache

Alsbald schlendere durch den schönen, kleinen  Ort, vorbei an beiden Kirchen, katholisch UND evangelisch, zurück in meinem Winzer-Geil-Hof kann ich noch ein wenig mitverfolgen, wie die anderen Hochzeits-Geils den erneuten Gewitter-Wolkenbruch überstehen und falle selig ins Bett.

Tag 23: Monzernheim – Worms Herrnhausen

Am Morgen erfahre ich beim Frühstück viel über diesen Familienbetrieb. In der 11. Generation, seit etwa 1740 hier, an diesem Ort im Weinanbau. Aus den Schilderungen höre ich so eine tiefe und zufriedene Verbindung heraus, auch Stolz und das rührt mich sehr. Hier wird zugunsten von Qualität und Familie auf Quantität und Äußerlichkeiten verzichtet, und das ist so wohltuend. Frau Geil führt mich über den Hof und Garten, bis hinunter zu den Tanks und Fässern und wird nicht müde, all meine Fragen zu beantworten.

In den heiligsten Weinkellern

Sehr gerne möchte ich, wieder daheim, zukünftigen Wein bei ihnen bestellen und, wer weiß, vielleicht zur nächsten Weinlese als Helferin wiederkommen. Ich habe das untrügliche Gefühl, dass ich hier nicht zum letzten Mal war. Wie schön, dass ich meine dreistellige Winzerrunde hier beenden durfte.

Die Luft ist heute klar und nach dem gestrigen Gewitter wie frischgewaschen. Der Boden konnte das Wasser gut aufnehmen. Ich meine kleine Seufzer aus den Blättern zu hören, es durftet würzig. Hochsommer, volle Pracht. Vorbei die Kirschen, vorbei die Himbeeren, jetzt kommt Brombeer und eben immernoch Wein.

Gut und heiter komme ich voran, der Wind bläst kräftig übers Land und durch mein Gemüt. Irgendwann kommt mir an einer Wegeinfahrt ein grüner Bulli entgegen, der fährt vorbei und kommt aber wieder zurück. Hier entspinnt sich mit dem neugierigen Fahrer eine dieser besonderen Wegs-Gespräche. Es gibt ja auch kein Prestige, kein Schischi, kein Garnix, um das man jetzt herumreden müsste, nein, direkt und klar geht es ans wahre Menschliche.

Ich bin wohl so eine Art Landstreichlerin, der die Menschen gern ihre Herzensangelegenheiten, ihre Schicksalsschläge erzählen, vielleicht in der Hoffnung, dass ich diese dann auf meinem Weg mitnehme.

Ich komme über ein Rübenfeld. In wirklich weiter Entfernung dreht sich eine Bewässerungs-Fontäne. Wirklich weit weg, aber der Wind ist so stark, dass ich leichten Sprühnebel abbekomme. Sehr angenehm, ich bedanke mich für die „Rübentaufe“.

Da fängt das Metall plötzlich an zu summen, das ganze Weinfelder singt

Kurz danach gibt es ein weiteres Wind-Phänomen für mich: so stark bläst er durch die stahlverspannten Wein-Reihen, dass die Seite und Streben zu singen beginnen. Nach Rübentaufe nun auch noch Weinharfe, wunderbar.

So komme ich irgendwann auf dem Lutherweg im Randgebiet von Worms an, genauer gesagt in Herrnhausen, samt Schloss, Park und Kirche.

Auch schön

Morgen werde ich nach Worms hineingehen. Dort sind derzeit Festspiele und für mich war es heute genug.
Sehr schön war der Tag.

Tag 24: Worms – in Richtung Speyer

Ich breche recht früh auf und komme genau rechtzeitig zu einem kleinen Gottesdienst im Nebenschiff des Wormser Domes an. Zarte Orgelklänge und noch zartere Gemeindegesänge rühren mich. Was für ein imposanter Bau. Was für eine Geschichte, welche Tradition an diesem Ort. Nibelungen, Luther … welche Wucht.

Lange sitze ich vor dem Marienaltar und genieße die Ruhe und den Frieden. Ich singe. In mir steigt es auf: ich will nur noch in Kirchen singen. Nicht der Akkustik-Eitelkeit wegen, sondern weil ich mich diesem Friedlichen anheim geben will. Keine Umwege mehr über bunte grelle lustige Nebenstrecken, lieber direkt zur Quelle. Genauer kann ich es noch nicht fassen, aber das darf jetzt in den folgenden Wochen so langsam vor sich hin gedeihen.

Meine Ruhe, meine Stille, mein Gebet

Ein reizendes Gespräch mit der „Stempelzuständigen“ der Domssakristei schürt meine Vorfreude auf den Dom zu Speyer und befeuert meine leise Abschiedsmelancholie, den Jakobsweg damit bald zu verlassen.

Jetzt verlasse ich erstmal Worms und brauche ein Weilchen, bis ich die rechte Route der pfälzischen Jakobsweges finde. Aber auch hier zeigt sich: alles auf dem Weg gehört zur Medizin. So führt mich die App durch wirklich unschöne Industrie-geprägte Randbezirke und schenkt mir denkwürdig triste Ansichten.

Nix da USA.

Und mir wird klar: Ich habe es in der Hand, besser noch im Fuß, wie mein Weg aussehen soll. Und Schwups, stehe ich vor der Kirche Maria Magdalena, die mit ihrem Informationsschild noch einmal besondere Aspekte des Pilgerns in mir wachruft. Dankbar laufe ich nun auf dem Jakobsweg am Nebenarm des Rheins entlang.

Später komme ich an weiten Feldern mit riesigen Strohballenwänden entlang und stehe schließlich auf dem „Monte Scherbelino“ einem Schuttberg, aufgetürmt aus den Trümmern der Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein ebensolchener in Stuttgart trägt den selben Namen und ich erinnere mich, dass ich öfters mit meinen Großeltern dort war, um dort mit meiner Oma „Renée Claude“ zu sammeln. Und siehe da, auch hier sind heute die gelben und roten Wildpfläumchen reif.

Die Landstreichlerin, genau das bin ich

Mir geht durch den Kopf, dass ich hier über die Trümmer von ehemalige „feste Dächer über dem Kopf“ spaziere, von Lebensgeschichten, zerstörten Lebensträumen und -Räumen.

Heute ist Neumond und ich möchte diese neue Phase gern bewusst begehen. Was soll in diesem kommenden Zyklus entstehen?

Für heute ist es gut, und ich beschließe, die Etappe bis Speyer abzukürzen, um morgen dann einen vorerst letzten Jakobsstempel in meinen Pilgerausweis zu erhalten.

Die Nacht verbringen wir auf einem netten Campingplatz am Baggersee und der erfrischende Abendschwumm ist ein Gedicht. Das Abendessen im  angeschlossenen griechischen Lokal mit dem hübschen Namen Paradiso ist ziemlich genau so, inklusive Ouzo.

Tag 25: Abschied von Jakob & Rhein in Speyer

In nahezu weihevoller Prozession laufe ich den guten alten Vater Rhein entlang in Richtung Dom zu Speyer. Ich komme an überraschend deprimierenden Neubau-Groß-Projekt vorbei. Wahrscheinlich standen hier früher die alten Lehmziegel-Fabriken, davon zeugen noch die verrosteten Stahlwand-Wassersperren. Heute wird hier mit exklusiven Flussambiente geworben, es geht sicher um sehr viel Geld und Prestige und mir wird es ganz düster im Gemüt.

Das Graffitto ist tröstlich und wirkt lange nach

Was für ein Glück, dass vor mir dieser grandiose gotische Riesenbau prangt, sofort wird mir es ganz warm ums Herz. Ich kann es nicht genau sagen, warum, aber ich habe mich von Anfang an so auf Speyer gefreut, ohne den Ort zu kennen. Irgendetwas lockt mich hier. Beim aufmerksamen Umrunden dieses unvorstellbar gewaltigen Baus frage ich mich, wie sie das damals hinbekommen haben, mit den damaligen Methoden. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und wieviel Wille, wieviel Macht, wieviel Gewalt, wieviel Glaube, wieviel Demut hier hat demonstriert werden müssen, dass sei an anderer Stelle diskutiert. Ich stehe unter einer riesigen Platane im Schatten und stimme spontan „Ombra mai für“ an. Einen passenderen Ort kann es kaum geben.

Im Dom-InformationsHäuschen erhalte ich dann den ersehnten und leicht betrauerten letzten Stempel und ich bestätige mir das „Vorerst“, kaufe mir nämlich direkt den Anschluss-Ausweis und einen Pilgerführer für die Weiterstrecke von Worms nach Frankreich. Jawoll, ich will!

Jetzt will ich aber erstmal in den Dom, ganz in Ruhe, samt Krypta und Turm. Es ist erstaunlich warm in diesem riesigen Bau, hell und irgendwie zuversichtlich. In der großen Krypta ist plötzlich niemand mehr außer mir und so singe ich auch hier, unterirdisch, tröstlich, zwischen den zahllosen Bögen. Kaum vorstellbar, welches Gewicht diese seit Hunderten von Jahren stützen und tragen.

Wunderschöner Ort um den Toten eine letzte Ruhestätte zu gewähren

Beim weiteren Rundgang stelle ich fest, dass die Fatima-Wander-Madonna derzeit genau hier in Speyer Station macht und ich an dieser ausgesprochenen Pilger-Madonna sehr gerne Rast mache. Wieder bin ich plötzlich allein im Nebenschiff, wieder kann ich in Ruhe singen. Ja, ich möchte nur noch in Kirchen singen.

Von ganz unten bis ganz nach oben führen mich ungefähr 330 Stufen und der Blick ist wirklich famos. Da fliest er, der Rhein und ich kann ziemlich weit sehen, von woher ich gekommen bin. Wieder fallen mir die Dialekte ein. Vielleicht fließt die Sprache ja wie ein Fluss und verändert sich langsam, so wie die Landschaft sich verändert.

Einfach nur atemberaubend

Beim Jakobs-Pilger-Denkmal in der Innenstadt gibt es einen Milchkaffee und dann laufe ich, nochmals am Rhein entlang zurück zu unserem Baggersee.

 Tag 26: Auf geht‘s zum HW5 nach Pforzheim

Dies ist jetzt sowas wie ein Pausentag.

Einfach mal tief durchatmen

Jakob ist gebührend verabschiedet und ich stelle fest, dass die kurze Anschluss-Route, die mich nun zum nächsten Fernwanderweg, nämlich dem HW5 bringt, landschaftlich nicht so verlockend ist, oder mir im Moment nicht so verheißungsvoll erscheint. Also beschließe ich auch hier, abzukürzen und mich aus der schönen Pfalz mit motorisierter Pferdestärke in Richtung Tor zum Schwarzwald, also Pforzheim zu bewegen.

Kurz denke ich darüber nach, dass das doch Beschiss ist, wenn ich nicht alles laufe … wer sagt das? Wer bestimmt, wann meine Wanderung stimmt? Warum greifen diese Themen um Leistung und Erfüllungszwang immer wieder?

Im Eingang des schwäbisch-indischen Lokals

Dies gilt es weiter zu ergründen, und noch vieles mehr. Wie gut, dass ich gerade erst knapp vor der Mitte  meiner Wanderung stehe und gehe und mich ergehe.

 

Heute gibt es zur Krönung des gekürzten Tages einen Besuch bei den Ohrenflausenern.
Ein Besuch im absolut empfehlenswerten Lokal des Schützenvereins bietet herausragende Küche zwischen Schwäbisch und indisch. So lecker. Auch das Bier.
Und ab morgen wird es dann recht anspruchsvoll. Ich freue mich drauf!

 

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