18 Aug franzi geht dann heim – Zwischenblick lX
Nun bin ich tatsächlich am Ziel meiner kühnen Fernwanderung angekommen. Wie geplant, am 16.August 2023, über den Maximiliansweg am Schliersee.
Wobei ich klar sagen muss, dass es mit „Fern“ nichts zu tun hat. Ich bin ja immer näher an den vertrautesten Ort hingewandert. Das ist der große Unterschied zu meiner letzten Fernwanderung 2019, meiner „Franzalpina“ über die Alpen. Da bin ich dem vertrauten Alpenabschnitt immer weiter entwandert, und schließlich im für mich bis dahin Unbekannten gelandet.
Jetzt bin ich zwar auch dem Bekannten entwandert und stellenweise durch viel Unbekanntes gelaufen, doch spätestens ab Gomadingen, dem Schachen, als ich den ersten Blick auf die Alpenkette bekam, laufe ich dem Vertrauten entgegen.
Vielleicht hat es eher was mit dem Scheinriesen aus der Augsburger Puppenkiste zu tun – obwohl ich ja gar nicht an Augsburg vorbei kam. In der Ferne ist er so, wie er halt ist und wird dann immer größer, je näher er kommt oder anders herum? Die Blickwinkel haben sich verändert, die Dimensionen auch.
Dies wird nun der vorletzte Artikel, um die noch ausstehenden Etappen zu beschreiben, leise Wehmut schwingt am Rande mit, aber mein Gestell signalisiert mir, dass es jetzt gut ist.
Mein Nervenkostüm auch, ich bin zum Ende hin dünnhäutiger geworden.
Wohl an denn:
Tag 47: Kenzenhütte – Oberammergau
Da ist es wieder, das Geräusch von gleichmäßig strömendem Regen auf dem Hüttendach. Nein, es ist sicher nicht der Wildbach, der hinter den Hütte rauscht, es ist Regen.
Ich räkle mich in meiner oberen, doppelten Stockbettetage. Alle anderen Plätze sind belegt mit Menschen. Und dabei fällt mir auf, dass es heute Nacht verblüffend ruhig war. Wenn ich die Anzahl der Maßkrüge und Aperolgläser auf dem einen Tisch der 8-köpfige Wandersleutgruppe (Schneewittchen und die sieben Kerle), die gestern Abend noch 20 Minuten vor Hüttenruhe um 22.00 Uhr auf deren Tisch standen, auf Schnarchdezibel und nächtliche Toilettengänge hochrechne, dann wäre da heute Nacht etwas ganz anderes bei rumgekommen. Aber nein, Ruhe. Die kennen ihre persönliche Grenze, und ich sollte nochmals über meine Vorurteile nachdenken.
Das ist ein großes Thema: in dieser – sagen wir: weniger dimensionalen Zeit merke ich recht schnell, wenn es mal wieder „in mir denkt“. Keine Ahnung, woher die Bilder, die Konnotationen, die Bewertungen, die Abschätzigkeit, ja auch die Überheblichkeit oft so herkommt. Mit meinem rationalen Wachhirn, meiner sozialkognitiven Prägung hat das stellenweise arg wenig zu tun. Woher kommt das Vorurteil? UND wie werde ich es los?
Vielleicht genießt die wunderbare Hüttenwirtin Franzi aber auch zu recht Respekt, nicht nur der Hüttengäste, sondern auch derer Gewebsstrukturen. Ja, diese Franzi hat den Trubel hier wirklich eindrucksvoll im Griff, „starke Persönlichkeit“ würde man sie wohl nennen.
Jetzt beim Frühstück trödeln alle etwas herum. Wahrscheinlich in der Hoffnung, dass sich der Regen bitte bald verzieht. Ab frühen Nachmittag soll es besser werden, aber so lange will ja niemand hier tatenlos rumsitzen. Unterschiedliche Gruppen diskutieren unterschiedliche Routenvarianten. Und wieder fällt es auf, dass die Frauen eher nach Parametern abwägen wie: „Lässt es sich auch bei Nässe gut gehen?“ und Männer die Höhenmeter und bisher erlaufene Bestzeiten mitteilen.
Draußen kommen mehrere Kuhherden vorbei, werden von einer Hochalm auf die andere getrieben. Das ist ein recht sportliches Unterfangen für die Bauern, verspüren doch nicht alle Kühe direkt den Drang, dem Herdentrieb zu folgen.
Als die letzte Truppe Hornvieh vorbei getrottet ist, beschließe auch ich, aufzubrechen. Regen hin oder her, mich treibt es hinaus. Und so finde ich mich kurze Zeit später in voller Regenmontur am Weg und schaffe es ein weiteres Mal, direkt zu Beginn die falsche Richtung einzuschlagen, schön bergab. Das mutet mir selbst irgendwann seltsam an und so darf ich tatsächlich alles wieder hinaufsteigen – im Regen, und noch weit höher. Gerade als ich mich frage, ob ich nun schlechte Laune bekomme, oder frustriert bin, fällt mir ein, dass immer wenn etwas scheinbar schief läuft oder sonst wie arg unliebsam ist, die direkte Belohnung wartet.
So war es bisher wirklich immer. Es tut so gut, mir mantramäßig zu sagen: Alles, was geschieht gehört zur Medizin. Auch bei Regen falsch abbiegen. Und kaum bin ich bis zum angepeilten Beckensattel hochgestiegen, eröffnet sich ein fantastischer Blick ins Land.
Hier erfahre ich an einem Schild, dass der eindrucksvoll behauene „Hinkelstein“ hier tatsächlich die einstige Grenze zwischen Füssen und Ettal markierte. Also zwischen Allgäu und Bayern. Ein tolles Geschenk dieser Tour, dass ich – quasi vom Feldweg her – ein klareres, möchte fast sagen persönlicheres Verhältnis zur Gegend, zu dem Land, dem ich lebe, bekomme.
Und dann hüpfen mir auch noch vier Gämsen über den Weg und mein Glück ist vollkommen.
„Beckensattel“, das Wort „Sattel“ kündigt es an: was hier raufgegangen wurde, muss auf der anderen Seite nun wieder hinunter. Gelände ziemlich zerregnet, wird es eine feine Matschpartie hinunter nach Linderhof.
Ums Schloss herum sind unfassbare Menschenmengen unterwegs, ich verspüre überhaupt keine Lust, in dieser regennassen Menge das Schloss zu besichtigen.
Kaufe mir statt dessen am Kiosk einen sehr guten, heißen Kakao mit erhoffter Wirkung: Seelenpflege. Gutgelaunt und innerlich gewärmt steige ich in den nächsten Bus Richtung Oberammergau. Die rote, oberbayrische Buslinie – richtig: ich bin jetzt in Oberbayern angekommen, Wahnsinn.
Steige prompt in Ettal aus, um dem Kloster einen Besuch abzustatten. Kann in der stillen Gebetskappelle der Brüder endlich wieder singen, mit Kakaobauch, alles ist gut.
Inzwischen meldet sich bei voller Gepäcklast mein linker Knöchel ab gelaufenem Kilometer 15. Ein ehemaliger Kapsel-, und Bänderriss sind jetzt die „Sollbruchstelle“. Über Nacht erholt sich das Dank Gänseblümchensalbe und Arnikagel. Also los, die letzten fünf Kilometer nach Oberammergau in die Jugendherberge schaffen wir, meine Knöchel und ich!
Habe ein Einzelzimmer UND muss das Haus nicht mehr verlassen, weil ich mich noch zum Abendessen anmelden konnte. Und ich habe es mehrfach erwähnt: ich liebe diese Speiseräume. Die Jugendherberge ist sehr gut besucht, es ist noch genau ein Platz frei, neben einer Kleinfamilie. Vater – Mutter – Kind. Das Büffet ist sehr vielfältig und ausgewogen und gesund, mit Möglichkeiten zur veganen, glutenfreien oder sonstigen Ernährung.
Und da verblüfft es wirklich, wie akribisch diese junge Mutter der Tochter komplizierte Marotten zur Nahrungsauswahl antrainiert. Es werden Sonderwünsche geweckt, die nicht bestanden und prompt nicht erfüllt werden können. Leidvoll … aber HALT: Wer bin ich, aus diesem kurzen Beobachtungsausschnitt so zu verwerten, zu urteilen? Dannheim, iss deine Nudeln und freue dich auf dein ruhiges Einzelzimmer.
Tag 48: Oberammergau -Eschenlohe
Nach zwei Nächten im großen Schlaflager habe ich die Nacht in meinem eine Bett im Einzelzimmer in der JuHe schon sehr genossen. Bestens ausgeschlafen habe ich erst meine Sachen aus dem Trockenraum geholt und mich dann in den Frühstücksraum begeben.
Heute habe ich direkt den Nebenraum, in dem sich hauptsächlich die Familien mit den kleinen Kindern sammeln, gewählt. Zum einen, weil hier heute die Sonne hereinscheint, hurra, Zum anderen, weil ich es wirklich genieße, zwischen dieser Vielfalt von Zukunftsmölglichkeiten zu sitzen und meinen Blick schweifen zu lassen und mucksmäuschenstill die Ohren zu spitzen. Jungväter in Ibiza-T-Shirts, aus denen sie ein wenig heraus gewachsen sind, geben in strammem Ton ihren Jonathans und Elisabeths derart mißverständlich unklare Ansagen, dass die Tischordnung bald zur Teststrecke samt Nutella-Massaker ausartet. Zwei Tische weiter beobachten dies zwei bebrillte Kinder zweier bebrillter Eltern haargenau. Das Mädchen von gestern erhält von der Mutter im Marottentrainig gerade eine Extra-Lektion, welches Obst wegen kleiner Druckstellen besser nicht gegessen werden sollte.
Richtig spannend wird die Feld- und Wiesenstudie, als diese Kinder nach dem Frühstück, als ich schon Schusters Rappen frisch aufsattle, draußen im Garten spielen. In meiner Kindheit hieß es „Fangerle“, der verabredete Platz, auf dem mal eine sichere Verschnaufpause einlegen konnte, hieß bei uns „Bodde“, bei meinen Kindern „Rolle“, was dann lauthals gerufen wurde.
Hier erläutern gerade die beiden bebrillten Kinder den anderen die Spielregeln. Die verabredete Auszeit heißt – beim ersten Hören, meine ich mich verhört zu haben – der wohlsortierte Schlachtruf lautet tatsächlich: „In mein Büro!“ Bitte? Liegt das an zu ausuferndem Homeoffice? Aber klar, Zeiten ändern sich, Spielregeln ändern sich. Ich schmunzle in mein Vorurteilshirn hinein, dass es die ausgerechnet die bebrillten Kinder sind, die die Büroregeln aufstellen. Was würden wohl die Ibiza-T-Shirt-Nachkommen wählen? „Surfbrett!“
Ich breche auf, in der Annahme, eine lässige Tour vor mir zu haben. Der Weg führt mich durchs hübsche Oberammergau an all den Schnitzerei-Werkstätten entlang, für die dieser Ort berühmt ist. Und natürlich für die Passions-Spiele. Ich komme sogar an der Staatlichen Berufsfachschule für Holzbildhauer vorbei. Interessante Übungsexponate stehen da im Hinterhof.
Der Weg führt mich an der „Laine“ entlang, so heißen in dieser Gegend wohl die Gebirgsbäche, die im Frühjahr dank Schmelzwasser schnell zum Ortschaftsgefährdenden Strom anschwellen können und daher bis weit hinauf in den Berg mit ausladenden Stufen befestigt werden. Und es geht für mich weit hinauf, der Hochnebel verschluckt mich sogar noch auf dem Weg zum Sattel. Dann heißt es wieder: „Aobi!“ Runter wird es wild, herausfordernd, matschig, steil und wunderschön. Der Duft im Wald kommt mir bekannt vor, die Vegetation auch, so weit bin ich vom Schliersee auch nicht mehr entfernt.
Selig schnuppernd und sinnierend komme ich bei strahlendem Sonnenschein in Eschenlohe an. Direkt an der Loisach liegt der „Brückenwirt“, mein heutiges Etappenziel. Es ist die Brückenwirtin Waltraud, die mich mit reizendem Schwarzwälder Dialekt empfängt und einweist. Ein aufmunterndes: „Jetzt kommt Ihr letzter Aufstieg für heute, das Zimmer ist im dritten Stock!“ umweht mich. Egal, es ist ein Einzelzimmer, MEIN Einzelzimmer, hoch droben im holzverkleideten Adlerhorst, wunderbar.
Nach Dusche und Wäsche sitze ich im hauseigenen Biergarten direkt über der Loisach, genieße das prächtige Farbspiel von Gebirgswasser und Berg-Panorama vor goldenem Sonnenuntergang. Der Hauptberg heißt bezeichnender Weise „Kasten“ und sieht auch so aus. Dahinter erstreckt sich die eindrucksvolle Kette meiner für morgen anvisierten Strecke. Ich habe großen Respekt, jetzt auf diesem letzten Abschnitt, spüre ich meine körperlichen Grenzen. Wähle ich morgen also die anspruchsvolle Variante, oder den „Umweg“ am Wasser entlang?
Die Schwalben und die Mauerselgler haben sich zur Großchoreografie hier eingefunden. Sie scheinen sich zu sammeln, um demnächst die große Reise gen Süden anzutreten. Bitte bitte bleibt noch ein paar Tage, ihr lieben Schwalben, begleitet mich an den Schliersee.
Ich kann nicht genau sagen, warum mich dieser Schwalbenaufbruch, der immer Mitte August vonstatten geht, so rührt. Die Bauernregel sagt zwar “Mariä Geburt san d‘ Schwalben furt“, also am 9. September. Ich meine aber, dass es eher Mariä Himmelfahrt, also der 15. August ist, den sie anpeilen. Um diese Zeit ändert sich das Licht. Die Tage sind spürbar kürzer und morgens liegt der Tau schwer auf den Wiesen.
Bitte, Schwälbchen, lasst euch noch ein wenig Zeit. Eine Schwalbe macht noch keinen Frühling, KEINE Schwalbe macht noch keinen (Dann)Heimgang.
Irgendwann steige ich zum zweiten und für heute nun wirklich letzten Aufstieg in meinen vertäfelten Adlerhorst und sinke tief in Daunenplümmo und Schlaf.
Tag 49: Eschenlohe – Herzogstandhaus
Als ich die Augen aufschlage, ist es bereits 7:40 Uhr. So lange habe ich LANGE nicht mehr geschlafen. Der Himmel ist königsblau und schnell ist klar, dass mein Unterbewusstsein mit diesem unplanmäßigen Ausschlafen Tatsachen geschaffen hat: Ich bin jetzt zu spät dran, um den ausgesetzten, sonnigen, anstrengenden Aufstieg zum Heimgarten zu wagen. Auch wenn er vom Namen her natürlich sehr gut auf meinem Weg hätte liegen können: Dann Heim Garten.
Ich genieße es lieber, ruhig und gemütlich meinen Drittstockhorst zu räumen und mit Waltraud, der Brückenwirtin zu plaudern. Erfahre, dass Sie vor 42 aus dem Schwarzwald kam, eigentlich nur für eine Wintersaison, eigentlich. Eigentlich ganz ähnlicher Werdegang, wie Frau Irene in ihrem gleichnamigen Haus in Unterjoch, letzte Woche. Kölsch ins Allgäu. Schwarzwald nach Oberbayern und meinereine schwäbisch ins Ruhrgebiet. Die erste seit gut 50 Jahren, die zweite seit gut 40 Jahren, und was halte ich von meinen gut 30 Jahren?
Zurück, es wird warm. Kein Heimgarten. Die Eschenloher Laine – da ist sie wieder, eine Stufengezähmte – entlang verlasse ich den Ort mit rückwärtigen und grandiosem Blick auf die Zugspitze.
Das mit der Stufenzähmung hat aber nur ein Stück weit geklappt, schon stehe ich an der „Schwarze Brüll Klamm“. Eine hochdranatische Schlucht, in der die Wasser über Jahrtausende eindrucksvolle Becken und Rundungen aus gespült haben, so tief hat sie sich in den Stein hinuntergetragen, dass es mir hoch drüber auf der Drahtbrücke fast ein wenig schwindelig wird. Hier singt sich das „Lied des Tages“ über den Fluss Sweet Afton besonders innig.
Durch feuchten, saftigen Wald geht es immer höher entlang des Wassers. Unzählige Schmetterlinge umschwirren mich, begrüßen mich so persönlich, dass ich kaum Rast machen kann. Enzian blüht am Weg, Mutter Natur hat sich heute ein besonders schönes Gewandt angezogen, nur für mich. Ich bin den lieben langen Tag mal wieder allein im Wald.
Irgendwann habe ich den Sattel erreicht. Eschenloher Laine ist nicht mehr zu sehen, da geht es auf einem Jakobsweg plötzlich wieder ein Stück bergab. Ich sehe schnell, dass ich quasi in der „falschen“ Richtung unterwegs bin, aber egal. Auf dem Jakobsweg jetzt an den Walchensee zu pilgern ist besonders schön. Der Anblick dieses flaschengrünen Sees haut mich wirklich um. Recht hemmungslos stehe ich in Einsideln und weine.
Zur Belohnung gibt es erst mal ein Eis. Mit dem Baden will ich warten, bis ich das Klösterl auf der anderen Seite der Halbinsel, besichtigt habe. Und dieser Weg zieht sich, in der vollen Sonne. Jakob, da verlangst du mir aber noch ordentlich etwas ab, bevor ich ins Wasser hüpfen darf. Meine Tour – meine Regeln … streng kann sie sein, die Dannheimerin.
Schließlich komme ich am Klösterl an, erfahre an der Schautafel einiges zur wechselvollen Geschichte, vor allem, dass dies heute ein Haus des katholischen Jugendbildungswerkes ist, und die Kapelle ist auch geschlossen. Ich ringe eine Weile mit mir, die Idee des letzten Stempels zu verabschieden, bin aber nicht so gut im Aufgeben, also klingle ich an der Hausmeistersschelle.
Die Landstreichlerin wird etwas misstrauisch vom Hausmeister gemustert, ihr wird erklärt, dass sie in der falschen Richtung unterwegs ist, aber das macht nichts. Dass ich mich in Ermangelung eines Jakobsstempels auch über den Hausstempel sehr freue, lässt das Eis schnell schmelzen. Meine Bitte, in der Kapelle ein Lied senden zu dürfen, weckt weiteres Interesse. Der Hausmeister führt mich durch die sehr weltlich mit Rettungswesten zugestellte Sakristei und schließt mir die Kapelle auf. Eigentlich bin ich keine Zuhörer mehr gewohnt, aber die ganze Situation ist so eigenwillig, dass es mir heute besondere Freude macht, zu singen.
Pause – „Wollen Sie nicht hier her ziehen? Mir fehlt ein Sopran.“
Das ist die allerschönste Reaktion, die ich mir je hätte erträumen wollen. Genau so. Genauso will ich es: nur noch in Kirchen singen, gerne unaufgeregt und ohne Schaubrimborium. Einfach nur singen.
Ein nettes Gespräch entspinnt sich mit dem Ausgang, dass ich eingeladen bin, am 24.September zum Musikspaziergang in Wallgau zu singen. Ich verabschiede mich gerührt, schwebe ans Ufer und hüpfe laut juchzend ins Wasser.
Dieser Walchensee hat eine Magie, die schwerlich in Worte zu fassen ist. Nicht umsonst hat Michael Bully Herbig seinen Wicky-Film hier gedreht. Das Museum am Ufer ist derzeit allerdings geschlossen.
Ich gehe jetzt abgekühlten und flotten Schrittes zur Talstation und gönne mir zur weiteren Krönung des Tages die Auffahrt zum Herzogstandhaus, meinem heutigen Tagesziel, mit der Gondel – im wahrsten Sinne des Wortes erhebend.
Es ist weit mehr als nur nachvollziehbar, dass König Ludwig ll auch hier oben sehr gern verweilte. Ein prächtiger Blick weit über dem Walchensee tief hinein in die Alpen, ab der dritten Reihe der Gebirgsketten sind die Gipfel weiß verschneit, unfassbar schön.
Wenn ich tief in mein Inneres hinein höre, habe ich eigentlich keine Lust mehr, in einem 16er-Lager zu übernachten. Irgendwie ist nach dieser langen Zeit des Wanderns, des Pilgerns, der Philosophierens, des Haderns, des Glückseligseins das Bedürfnis nach Nachtruhe und gewahrter Intimität größer. Wieder gebe ich meinem Zaudergeist einen Schups und frage den ausgesprochen netten Hüttenwirt, ob nicht zufällig heute, an diesem Wochenendtag und seinem voll ausgebuchten Schlafplan, nicht ein Zimmer frei geworden ist. Davon ausgehend, dass er mich müde anlächeln wird …
Und was antwortet er? „Grad im Moment kam ein Storno rein. Das schönste Zimmer, das König Ludwig Zimmer, ist frei geworden. Magst es?“ Ich mag ihm am liebsten um den Hals fallen und liege kurze Zeit später und mit absolut überschaubarem, lohnenden Aufpreis im wirklich bezaubernden Ludwig-Zimmer mit noch etwas erhabenerem Blick in die Berge. Ach, wie schön, dass das mit dem Wünschen zur Zeit so gut klappt.
Der Abend ist sternenklar. Darüber freut sich auch die kleine Reisegruppe aus Düsseldorf, die direkt unter meinem Fenster zu drei Flaschen Weißwein erst alle gesundheitsrelevanten Themen der Altenpflege ihrer Eltern durchdeklinieren, im Anschluss die aktuellen generalisierten Fehlversuche in der Kindererziehung der neuen Elterngeneration – ich werde stark an mein eigenes Vorurteilsgedenke gemahnt.
Und dann ist es endlich dunkel, Zeit, dass die eine Düsseldorferin hier heroben ihr Handy zückt und dank ihrer Astro-App versucht, den anderen sämtliche Namen aller Sternkonstellationen in dieser besonderen Perseiden-Nacht vorzulesen. Nacht, Alkohol und fehlende Brille lassen diesen Vortrag ab und an etwas ins Stocken geraten. Ich bin einfach zu erschöpft, schaffe es noch nicht mal, mich ans Fenster zu schleppen, um von da aus nach den besagten Sternschnuppen-Schwärmen Ausschau zu halten
Ein paar junge Männer bölken noch bis halb eins durch die Gänge, aber das ist mir alles egal. Ich liege im Bett unter einem Gemälde von König Ludwid ll und genieße „meine königlich bayrische Ruhe“, so hat es meine Oma Else immer gesagt – meine königlich bayrische Ruhe.
Gute Nacht.
Tag 50 : Pausentag am Herzogstand
Frühstück mit Alpenpanorama de luxe!
Was für ein Ort für einen Pausentag, den letzten Pausentag meiner Tour. Und dann bekomme ich heute hier heroben auch noch Familienbesuch. Wunderbar.
Nach einem zweiten Frühstück mit meiner Mutter gibt es eine kleine Spazierrunde. Bloß nicht zu viel, ich hab ja heute Ruhetag. Und den braucht mein Körper auch, die Oberschenkel wollen gar nicht mehr weich werden. Der Rücken tut zwar nicht weh, aber er wird fest, habe schlicht zu wenig Yoga gemacht in den vergangenen Wochen. Aber wann hätte ich das noch machen wollen?
Mittagspause im König-Ludwig-Zimmer, während sich unten die Wochenend-Tages-Gäste auf der Hüttenterrasse stapeln, stiller Luxus. Und dann kommt plötzlich Regen auf. Dunkel wird es am Himmel, schwarz und zuerst leert sich die Terrasse, alles strömt in den Gastraum.
Weiterer Besuch für Königin Franzi kündigt sich an: so ein eigenes König Ludwig Zimmer will ja optimal genutzt sein, also hat sich der Gatte kurzerhand auf den Weg gemacht. Wie schön, dass er mich nun auch zum Ende der Tour besucht und dieses ganze Unterfangen über mehrere Besuche und Zwischenstationen ein Stück weit begleitet hat.
In der nächsten kurzen Regenpause leert sich auch dieser und pünktlich zur letzten Talfahrt um halb sechs kehrt sie hier ein, die königlich bayrische Ruhe. Es regnet weiter, das vermiest den Düsseldorfern eine weitere weißweingetränkte Sternenhimmelsanalyse.
Irgendwann gegen halb vier erwacht der königliche Gatte aus dem Schlaf und das ist wunderbar: der Himmel ist wieder sternenklar, so schleichen wir zwei durch die dunklen und stillen Flure hinaus auf die Terrasse und genießen die volle Ladung Sternschnuppen, Milchstraße samt feiner Mondsichel – ohne Handy-App, einfach nur schön.
Ab morgen geht es dann wieder allein auf die letzten vier Etappen und dann bin ich …
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