11 Jun franzi geht dann heim – noch zwei Wochen
Es ist Sommer. Der Duft der Wildrosenhecke in meinem Garten ist betörend, fast betäubend – ein Bienenfest und auch die Libellen sind in herzförmig herzigen Liebesflügen unterwegs – siehe Bild weiter unten.
Die große Mosaikjungfer lässt sich noch etwas Zeit, die dümpelt gerade noch in ihrem zweiten Metamorphose-Panzer im Teich. Ich berichtete mehrfach über dieses Spektakel, das ich dieses Jahr wohl nicht mitverfolgen werde, denn:
In zwei Wochen geht sie los, meine franzi geht dann heim Tour! Ich muss zugeben, das Reisefieber nimmt an Fahrt auf. Interessant, bei diesen Sommertemperaturen über „Fieber“ nachzudenken. Was ist es denn, das eine scheinbar fiebrig zukünftigen, vorzubereitenden Ereignissen entgegenschwitzen lässt?
Die Gedanken schweifen, flirren durch den Spätnachmittag:
Fieberzustände – Reise oder Lampe
Egal, ob das nun heute der Rucksack ist, der wiederholt und angepasst gepackt probegetragen wird, auf dass sich Schultern, Kreuz und Haxen an das Gewicht, das es demnächst über etliche Stunden pro Tag zu tragen gilt – da wären wir beim Reisefieber.
Oder ob es sich um diese Minuten oder Stunden handelt, in denen eine aufgerissene Künstlerseele vor dem Auftritt das ganze Sein in diese eine Waagschale einer Vorstellung wirft, dabei – neben aller Spielfreude – oft kläglich versucht, das rebellierende vegetative Nervenkostüm unter Kontrolle zu bekommen, dem sich dennoch Darm und Schweißporen gerne widersetzen – hier wären wir beim Lampenfieber.
Heiter bis tödlich
Wenn ich es mir genau überlege und zahllosen, vergangenen Vor-Auftritts-Momenten nachspüre, wird mir immer klarer, dass es sich hier eigentlich um eine Form der Todesangst handelt. Ja, es geht um nichts Geringeres als um Leben und Tod. Warum? Kreierende, künstlerisch kreativ wahrhaft Schöpfende haben keine Wahl, keine andere Möglichkeit oder Sprache. Kunst ist somit Lebensmittel. Und das befürchtete, potentielle Scheitern folglich vermeintlich tödlich.
Was hat das nun mit meiner avisiertenReise zu tun? Viel. Hier wird womöglich in ca 60 Tagen, über knapp 1100 Kilometer, längs und quer durch vier Bundesländer und einen kleinen Fitzel Österreich (durchs Tannheimer Tal – Zufall, hab nicht danach gesucht – ehrlich!), in und zwischen den unterschiedlichen Bedeutungsebenen gewandert, gewandelt. Wie wunderbar, dass das Verb Wandeln zum einen den Zustand leicht enthobenen Flanierens beschreibt, als eben auch die Änderung, die Wandlung, die vielleicht damit einher geht.
Und wie ich meine Gedanken hier nun recht zügellos wandern und wandeln lasse, kommt mir unweigerlich ein Gedicht in den Sinn. Es begleitet mich (und viele, viele andere Menschen) bereits ein Gutteil meines Lebens. Ja, es wurde bis an die Grenze des Erbrechens oft zitiert – vor allem Zeile 9 und 10, die aber aus dem Zusammenhang gerissen so viel Tiefe entbehren und zum Kalenderabreißblatt-Zuckerl verkommen sind. Zur Sprache, also zur Lese kommt zum Ende des Artikels:
Hermann Hesses Gedicht Stufen
Und eben diese Stufen werden in den Zeilen 11 bis 14 thematisiert. Ich gebe zu, dass mich diese vier Zeilen lange verunsichert – ich möchte fast sagen: geängstigt – haben. So bin doch genau ich diejenige, die die Frage nach der Heimat stellt, die sich auf die Suche macht und ihrer Wanderung dies zur Überschrift macht: franzi geht dann heim … wo ist dann daheim? Was ist Heimat, und wenn ja – WO?
Laut Hesse, könnt ich diesen Schritt auch überspringen, da es laut seiner gedanklichen Verdichtung darum geht, sich in keiner Heimat zu verhaften – auch wieder ein spannender, dannheimlicher Gedankensprung: verhaften – ankleben oder ins Gefängnis kommen? Aktiv oder passiv?
Vielleicht sind diese kühnen Ideen und Gedankensprünge auch den sommerlichen Temperaturen zu verdanken. 30 Grad hat es heute im Schatten. Und damit greife ich eine wunderbare Leserzuschrift auf: Ein aufmerksamer Mensch reagierte auf meinen letzten Artikel, dessen Titelbild der Hut meines Großvaters auf meinem Kopf zierte. Der kluge Hinweis war: Es wird Sommer – und dann ist Opas stabiler Wollfilz-Hut vielleicht schlicht zu warm und ein luftiger Strohhut wäre gescheiter.
Eigentlich schade, wenn der Opa jetzt nicht mit auf die Wanderung kommt. Doch was habe ich für ein Glück, nun quasi eine liebe Freundin mit auf den Weg zu nehmen, die mir diesen exquisiten französischen Papierhut vor Jahren schenkte. Mein geknüpftes Band passt auf jeden Fall. Eine mehr als würdige Alternative, wie ich meine.
Stock und Hut steh’n ihr gut
Mein Wanderstab ist auch schon fertig. Ich habe mir bewusst eine Wildkirsche ausgesucht. Zeit der Kirschen (siehe letzter Artikel). Hier stelle ich noch einmal die Frage in die Runde, ob ihr werten Lesenden mir auf die Sprünge helfen könnt: Welche Legende ist es noch einmal, die von welchem Heiligen oder Halbgott berichtet, der im Zuge seiner Heldenreise erst das Augenlicht verliert, dann den Kirschstab erhält, mit dem er wahrhaft sieht … oder so ähnlich. Ich erinnere mich leider nicht mehr.
Nun heißt es in jedem Fall:
Fränzchen klein geht allein in die weite Welt hinein.
Stock und Hut steh’n ihr gut, ist auch wohlgemut.
Die darauf folgenden beiden Liedzeilen werden selbstverständlich abgewandelt und damit rufe ich zum Ideen-Parcour auf: Wie könnte dieses Liedchen positiv, konstruktiv, voran und ohne heulende Mutter weitergehen? Zuschriften erbeten.
Kein Bett im Kornfeld
Mit dieser adaptierten Liedzeile nehme ich noch einmal meine Eingangsworte auf. Auch wenn ich bekennende und begeisterte Unter-freiem-Himmel-Schläferin bin, werde ich mir des Abends ein passendes Dach über dem Kopf und damit angemessene Ruhe und Erholung gönnen.
Ich habe einen nagelneuen Schlafsack dabei. Wie wunderbar, dass auch in diesem Bereich eine Spezialisierung auf die unterschiedlichen Bedürfnisse umgesetzt wurde: 1. Es ist ein Schlafsack für Frauen, also der weiblichen Anatomie angepasst. 2. Es ist ein Seitenschläfer(innen)-Schlafsack, also dreidimensionale Ausbuchtung im Mittelbereich. Und 3. Er trägt den fantastischen Namen Big Agnes. Ein Muss – allein des bezaubernden Namens wegen, oder? (keine bezahlte Werbung, schiere Freude!)
Über Stock und Stein
Den letzten Absatz meine „Zwischenblicke“ nenne ich immer „Über den Tellerrand„. Nun also „Über Stock und Stein“. Frei assoziiert: es geht vielleicht nicht alles nach Plan. Aber das Gefühl von Freiheit, das ich heute schon beim allerersten Testlauf mit Originalgewicht und Originaltemperatur hatte, ist unbeschreiblich gut. Ich fühle mich frei.
Ab jetzt werde ich jeden zweiten Tag gehen, Strecke steigernd. Schritt für Schritt, Stufe um Stufe meinem Aufbruch zu Johanni entgegen.
Ein schönes Wochenende wünsche ich allerseits und gebe den Stab an Herrmann:
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Hermann Hesse
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