26 Jul Gehört dazu gehören wollen dazu?
Eine gehörig eigenwillige Titel-Frage zum Thema „Zugehörigkeit“, zugegeben. Um so freiwilliger und freimütiger folge ich hiermit dem Aufruf von Iris Wangermann zur Blogparade zum Thema: Warum es mir so schwer fällt, dazuzugehören.
Einmal mehr ein HOCH auf meine Entscheidung, The Content Society um Judith Peters seit drei Jahren anzugehören, soviel zum „Dazugehören“ schon mal vorne weg. Mein 105. Blogartikel. Tadaaa! Gefeiert mit einer Blogparade!
Eine Blogparade ist gewissermaßen die Einladung, zu einem vorgegebenen Thema – in diesem Fall „Zugehörigkeit“ zu schreiben. Es ist mir eine Freude und Ehre, diese Einladung von Iris Wangermann, mit der ich bereits mehrfach zu diesem und „benachbarten“ Themen arbeiten durfte, anzunehmen.
Sehr frei und sehr persönlich querfeldein assoziiert
So wird es heute zugehen. Ich läute direkt zu Beginn des Artikels bereits die Lösung ein: Von Iris Wangermann bekam während eines Übergang-Rituals im Bayrischen Wald vor nunmehr ebenfalls drei Jahren (fast auf den Tag genau) die Begleitung oder Anleitung oder nennen wir es das Mantra:
„Mutter Natur wird dir nie mehr zumuten, als du erträgst“
Das saß und sitzt – bis heute und in alle Ewigkeit. Wenn nachts bei Sturm und Regen das Tarp über deinem Kopf (und Schlafsack) wegfliegt – Mutter Natur weiß, dass du das auch ohne Taschenlampe wieder hinbekommst, Glühwürmchen zur Belohnung. Wenn dich am Berg das Gewitter überrascht – du packst das. Wenn der Sturm die Flut schneller an Land peitscht als gedacht und du über die Steilwand hochkraxeln musst – du packst das.
Heute fühle ich genau da meine Zugehörigkeit, aus der alles andere gedeiht: Natur. Sie spricht mit mir, sie tröstet mich, sie nährt mich, sie ist für mich da. Immer. Doch diese Gewissheit war mir nicht immer beschieden.
„Dazugehören“ – das klingt nach einer Bestandsaufnahme, also nach einem zugewiesenen Zustand. Oft fühlt es sich aber nach einer Zulassungsprüfung an. Was muss ich tun, was muss ich lassen, was soll ich anziehen, wo soll ich mich aufhalten, DAMIT ich dazugehören kann. Gehörige Schwierigkeiten. Unerhört.
Wider gängige Kriterien und Schubladendenken
Mit den Tieren kommunizieren, Pflanzen als Geschwister betrachten, dem Gesang der Sterne lauschen, Bächen beim Plaudern lauschen, die Farbe von Gefühlen oder Akkorden sehen – all das sind keine Qualitäten, die der Lehrer in der Schule bewerten kann oder will – und die Lehrerin auch nicht. Da bekommst du eine 5 in Deutsch, weil dich der gängige Gedicht-Interpretationsansatz zutiefst ärgert und du dem Poeten und seinem Werk statt dessen unbedingt angemessene Freiheit gewähren willst.
Mathematik ist eine reine Angst-Projektion, weil oft genug das Gefühl aufkommt, sowieso zu blöd dafür zu sein. Ob dies nun wirklich jemals aus irgendeinem Munde zu mir gesagt wurde, oder ob ich mir dieses Gefühl von Minderwertigkeit stets aufs Neue selbst eingebrockt habe, das ist zweitrangig.
Und das betrifft nicht nur die Klischee-Klassiker wie: Mädchen können kein Mathe. Ich hatte auch nie ein Gespür für einen eigenen Stil, also Kleidung, die mir steht, oder Farben, die ich an mir mag. Definition des Selbst durch Zugehörigkeit. Wie soll das funktionieren, wenn es da keine Clique, keinen Sportverein, keine Hood gibt, die Platz und Sicherheit, Sinn und Wert verspricht.
Meisterschaft der Zwischenräume
Wenn also überall, wo man gerade hinwächst schon jemand anders ist, dann schaut man halt, was noch frei ist. Welcher Platz, welches Thema unbesetzt, eben frei ist.
Persönlich geschürt durch mehrere Umzüge zu ungünstigen Zeitpunkten, nämlich wenn ein etwaiges Dazugehören in neuen Lebensumständen wie „Einschulung“ oder „Familiengründung“ ein Stückweit Sicherheit vermittelt hätte. Sicherheit – was ist das?
Dann wird selbst gewagt, experimentiert, dem inneren Drängen Folge geleistet. Das ist nicht immer gesund, bringt aber viele Erfahrungen in allen Farbschattierungen mit sich. Langeweile – was ist das? Freiheit, du kannst manchmal beängstigend sein.
System von Selbstbewusstsein und Vertrauen
Das ist nicht allen direkt in die Wiege gelegt. Ich bin vertrauter mit dem unbestimmten Gefühl, eben NICHT dazuzugehören, NICHT in die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, KEIN Selbstbewusstsein zu haben, um den eigenen Träumen auf geradem Weg zu folgen. Von meinen Mäander-Wegen schrieb ich bereits HIER
Noch einmal zurück zu Innen und Außen: Ich lasse mir die Wortfolge von „eingebildet“ und „ausgebildet“ geschmeidig durch Kehle und Synapsen gleiten. Ach Sprache, du bist ein wundervoller Zauberstab!
Apropos Zauberstab: Sollte ich an dieser Stelle verraten, dass ich mir gestern in kindlicher Begeisterung einen Schlafanzug in wunderbar frischem Türkis mit einem Harry Potter, also Hogwarts-Emblem nebst Hedwig gekauft habe?
Über Stil und Geschmack gibt es bei mir nichts mehr zu diskutieren. Ich mach es grad so, widde widde wie es mir gefällt. Pippi Langstrumpf spielt Quidditsch im Schlafanzug, jawoll!
Teststrecken und kreative Verausgabung
Bin also irgendwann in meine eigene Welt mit meinen Parametern und Richtschnüren gehüpft. Geflohen klingt zu dramatisch. Das war es nicht. Für mich innen drinnen manchmal schon, von außen betrachtet sicher eher verrückt, durchgeknallt oder eben chaotisch-kreativ.
Außen und Innen – die beiden Ansichten können sehr weit auseinander liegen. Innen: schüchtern, melancholisch, zerbrechlich. Außen: arrogant, energisch, Powerfrau – ich kann und will diesen Begriff „Powerfrau“ nicht einmal mehr hören. Ausgepowert. Auf der Mauer auf der Lauer liegt ein kleiner Burnaua …
Ich habe kürzlich – leider weiß ich nicht mehr wo und von wem – gelesen:
Selbstliebe – das ist der Ü50 Narzissmus
Zuerst habe ich gelacht, herzhaft. Hatte direkt das Bild von einem Ü-Ei, also einem Überraschung-Ei im Kopf. Ü50, da bin ich dabei. Beim Überraschungsei auch. Beim Narzissmus nicht. Bei der Selbstliebe hingegen sehr. Gerne möchte ich hier einen Satz zitieren, der in unserer Gesellschaft weit bekannt sein dürfte:
„Liebe deinen nächsten, wie dich selbst“
Wenn das mit der Selbstliebe also nur was für Ü50 Narzissten wäre, dann wäre es tatsächlich kein Wunder, dass Hauen und Stechen heute zunehmend an der Tagesordnung sind.
Wenn ich mich liebe – wahrhaft und radikal annehme, so wie ich bin – und nicht, wie ich gern wäre – dann spüre ich, dass es gesünder, besser und schöner ist, meinem Umfeld genau dieselbe Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Wir sind ja nicht nur Menschen auf diesem Planeten.
Es geht letzten Endes immer ums Versöhnen. Mit sich, mit den anderen, mit dem Leben. Hat Versöhnung auch etwas mit den Söhnen zu tun? Was wäre, hätte ich Töchter? Ja, es macht mir Freude, in der Sprache zu wühlen, mit ihrem Klang, in ihren Bildern, genauso wir in frischer Erde beim Umtopfen von Pflanzenzöglingen oder Geschwisterblumenversetzen. Da spüre ich mich, da bin ich daheim. da. heim.
franzi geht dann heim. Natürlich war die gleichnamige Wanderung im vergangenen Jahr auch eine Art autobiografische Spurensuche.
Heimat, wo bist du?
Heimat ist, irgendwo hinzugehören, dazuzugehören. Nirgendwo dazuzugehören bedeutet aber auch Freiheit. Unermessliche Freiheit. Und das wird dir erst bewusst, wenn du aus dem Benachteiligten-Modus und aus dem Opfer-Status ausgestiegen bist. Großes Geschenk. Ich bin beschenkt, vielfach UND habe den schönsten Beruf der Welt. Ich kann in Freiheit leben, mich um mein Wohlergehen kümmern und frei heraus sprechen, singen, schreiben, was mich bewegt und was ich bewegen will. Was will ich mehr?!
Freiheit und Sicherheit erlebst du selten zu zweit.
Während ich diesem Gedanken-Spiel nachhänge und beschließe, es für heute gut sein zu lassen, mit allen Schlaufen, die hiermit offen bleiben, kreist ein Bussardpaar über meinem Kopf. So nah, dass ich die Muster ihrer Federkleider deutlich unterscheiden kann.
Mutter Natur, wie schön sind deine Kinder!
Danke ich habe verstanden. Du redest mit mit. Immer.
nota bene: Titelfoto ist aus der aktuellen Serie von Hajo Müller. Die Tuschebilder sind aus meinem Fundus, gemalt vor exakt einem halben Jahrhundert. Das ist meines Erachtens nach würdig und recht für einen 105. Blogartikel.
Thomas
Posted at 10:13h, 04 SeptemberHallo Franziska,
danke für diesen erfrischenden Text mit viel Liebe zur Sprache.
Ich habe dich über die Blogparade zum Thema Zugehörigkeit gefunden und mir erlaubt, deinen Beitrag bei mir zu verlinken.
https://weitgluecklich.com/zugehoerigkeit/
Ich kann viele deiner Gedanken absolut nachvollziehen und sehe es auch als Schlüssel an, endlich aus der Opferrolle auszusteigen.
Alles Gute und viele Grüße, Thomas
Franzerl
Posted at 10:47h, 04 SeptemberHallo Thomas, es freut mich wirklich sehr, dass dir Artikel und Sprache so gut gefallen, dass du es sogar bei dir verlinkt hast. Herzlichen Dank. Werde mich gleich mal auf deiner Seite umsehen. Viele Grüße von Franziska
Pingback:Zugehörigkeit - Wo kann ich sie (nicht) erleben und warum? • weitglücklich
Posted at 13:48h, 01 September[…] Verbundenheit zur Natur ist auch bei Franziskas Beitrag ein wichtiges Thema. Mit viel Liebe zur Sprache geschrieben, ist der Beitrag erfrischend anders und […]
Franzerl
Posted at 13:49h, 01 SeptemberHerzlichen und „erfrischten“ Dank!
Angela Carstensen
Posted at 14:50h, 12 AugustOh, was für eine poetische Antwort auf das Dazugehören. Vielen Dank für diesen faszinierenden Einblick und liebe Grüße von einem weiteren Ü-Ei 😀
Angela
Franzerl
Posted at 13:51h, 01 SeptemberAllerbesten Dank für die wohlwollenden Worte
Pingback:Zwischenblick Juli – August 2024 | Franziska Dannheim
Posted at 15:32h, 09 August[…] Gehört dazu gehören wollen dazu? […]