02 Mai Warum ich mich Multidilettantin nenne
Öfter mal was Neues: Letzte Woche die Frisur, jetzt Startsprung in den eigenen Blog. Ich bin beruflich betrachtet „Franz Dampf in allen Gassen“. Ob es nun darum geht, als Sängerin große Opern in leckeren Häppchen zu servieren, fröhliche Lieder über Kinderzimmer-Erlebnisse zu schreiben oder ein Drama über menschliche Abgründe zu verfassen. Meistens überrasche ich mich selbst mit einer neuen Idee (wie jetzt hier gerade das Bloggen), von der ich anfangs keine Ahnung habe. Los geht’s: Ideen sammeln, Inhalte recherchieren, Kollegen fragen, Idole bewundern, Texte schreiben, Musik auswählen oder besser noch selber komponieren.
Was für ein Abenteuer-Spielplatz – meistens toll, manchmal mühsam. Wenn ich mich recht erinnere, dann war das immer schon so: Natur beobachten, Singen, Bergsteigen, Sterne gucken und Sammeln – alles: Eindrücke, Kräuter, Aussichten. Darüber dann zu schreiben, lässt die Vielfalt für mich im Wort gerinnen. Sie bekommt eine klare Form, dann Struktur und genau das bringt mich voran, Schritt für Schritt.
Grenzenlose Neugierde
Sie wird mir hoffentlich nie entschwinden, diese Neugier auf Menschen, auf Geschichten, auf Landschaften, auf Sprachen. Ich glaube wirklich, dass wir mit jeder neuen Sprache, die wir lernen, einen weiteren Anteil unserer Persönlichkeit ausleben können – blöd nur, dass Ausdauer oft nicht meine größte Stärke ist. Sonst könnte ich jetzt neben Englisch und Französisch, poquito Spanisch und noch weniger Italienisch sicher auch schon Mandarin, Suaheli und Tschechisch.
Die Vielfalt dieser Welt zeigt sich mir jeden Tag bei jedem Wetter zu jeder Jahreszeit und überall so verlockend, dass ich nie satt bin. Stets ziehe ich weiter und meine Kraft genau daraus. Manchmal verzettele ich mich dabei fundamental und weiß nicht mehr, wer ich eigentlich bin, was ich überhaupt kann und will.
Verzweifeln an der Vielfalt
Es gibt ja wohl Menschen, die können eine Sache so richtig gut: Herzen operieren oder Kabel verlegen oder Recht sprechen. Nennen wir sie Spezialisten. Manchmal beneide ich sie und stelle mir vor, man wacht morgens auf und denkt: „Ah, heute werde ich Herzen operieren/Kabel verlegen/Recht sprechen. Ich freue mich drauf, das kann ich richtig gut.“ Ich persönlich habe weder Doktortitel, noch Firmenwerkstatt, jedoch dieses aberwitzige Ein-Frau-Kaleidoskop. Früher hat mir das ab und an zu denken gegeben: Die Spezialisten wissen in ihren Spezialgebieten alle mehr, können ganz speziell mehr, sind einfach besser …
HEUTE weiß ich bei allen siebenundzwanzig Hochzeiten auf denen ich beruflich tanze, dass ich EINES richtig gut kann: Heiterkeit verbreiten. Egal ob ich meine légère Oper singe (gerne mit den Zuschauern zusammen), Lieder übers Zöpfe-Flechten schreibe (samt Choreografie) oder mich in einem Gedicht über Pappeln verliere. In all dem erlebe ich so viel Erfreuliches und Erbauliches.
Multidilettantin als Lebenskonzept
Wikipedia sagt: Der Begriff Dilettant kommt vom Lateinischen „delectare“ – sich erfreuen. Und genau darum geht es: ich erfreue mich mit dem, was ich tue und freue mich, wenn sich andere mit mir freuen. Und alle zusammen haben wir nach meinen Auftritten ein Lächeln im Gesicht und wissen mehr als vorher, klassisches Infotainment: Warum Oper doch nicht so kompliziert sein muss. Warum Wolkenbilder unbedingt Samba tanzen oder warum Neugier eben nicht zu den Sieben Todsünden zählt. OK, ich kann es nicht auf Mandarin, nicht auf Suaheli nichtmal auf Tschechisch vermitteln. Ich arbeite daran.
Optimistin mit unbeugsamer Zuversicht
In diesem, meinem ersten Blog-Artikel habe ich ganz bewusst Corona NICHT zum Thema gemacht, denn selbst wenn dieses Virus derzeit weite Teile unseres Lebens maßgeblich beeinflusst und mein berufliches sowieso und allumfassend, so bewahre ich meine Neugierde und meine unbändige Lebensfreude. Ich halte es wie Pipi Langstrumpf und „… mach mir die Welt, wide-wide-wie sie mir gefällt“. Das ist nicht naiv, nicht unpolitisch, nicht weltfremd – in meinen Augen und in meinem Herzen ist das die gesündeste Weise, Unumgängliches möglichst schadlos zu überdauern. Ich schaue nach vorn, mal sehen was kommt.
Mein Dank geht an Judith Peters von Sympatexter, ohne die ich wahrscheinlich noch in fünf Jahren an einen eigen Blog „dranhindenken“ würde, und an Hajo Müller für das Foto.
Mit einem Zitat meines Lieblings-Dichters Friedrich Hölderlin schließe ich nun und gehe raus an die frische Frühlingsluft:
„So dächt’ ich – nächstens mehr“
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